Monika Lüthi: Was du vergessen musst – ist das wirklich ein „Atmosphärischer Spannungsroman mit atemraubenden Plottwists“?
Zum Glück sind wir ja ein Spannungsliteraturblog und nicht ein profaner Krimi-Blog. So können wir dann auch das Buch von Monika Lüthi anschauen, was explizit kein Krimi oder Thriller ist – nein: Es ist vielmehr ein „Atmosphärischer Spannungsroman mit atemraubenden Plottwists“.
Im Grunde lehnen wir diese Mode ja ab, dass man neuerdings in die Tagline ein (oft leeres) Versprechen packt – aber wie ist das hier: Verteidigt die Schweizerin ihren Anspruch?
Setting & Story
Der Anfang ist zu etwas über 90% cool. Soviel sei verraten: Es geht um Amnesie – aber wer da jetzt zurückschreckt und sagt: „Oh je … hatte ich schon“, kann getröstet werden. Hier wird das Thema tatsächlich spannend angegangen. Da steckt eine Menge drin und da werden ein paar Spuren ausgelegt, die … ja – die könnten am Ende glatt zu atemberaubenden Plottwists führen.
Handwerklich schafft die Autorin das auch. Da sind viele Kleinigkeiten und Winzigkeiten, die einfach kein Zufall sind, aber so beiläufig passieren, dass es schon irgendwie beeindruckend ist. Und wir verraten so viel: Am Ende spielen die dann wieder eine Rolle.
Und das ist wirklich gut durchdacht.
Sprache und Spannung
Tja … gut durchdacht. Das erste Drittel des Buches ist denn auch irgendwie spannend, wobei man leider sagen muss: Hier kommt schon eine echte Schwäche des Buches zum tragen: Wir spoilern nicht – aber eine der wesentlichen Figuren ist zu flach. Da weiß man gleich: Oh je … Tja – und da muss man dann auch sagen: Da helfen die Plottwists nicht. Zumal die Autorin sich am Ende solcher bedient, die einfach keine sind.
Das Buch verflacht nach einem Drittel heftig. Was eben noch spannend war, wird jetzt rasch anstrengend. Und die flache Figur verflacht noch mehr. In einer Art und Weise, die berechenbar ist und die man tausendmal gesehen hat – die gesamte Figur wird zum Abziehbild.
Neben ihr macht sich die Hauptfigur, die an der Amnesie durch einen Kletterunfall in den Bergen gekommen ist, urplötzlich auf, dieselbe Strecke noch einmal zu gehen.
Und da muss man sagen: Hier hat die Autorin uns alle verloren. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern vollkommen. Die Herleitung ist übel und billig und man spürt, dass die Autorin unbedingt dort hin will.
Zu dieser Wanderung in den Bergen.
Und dafür tut sie alles.
Für den Leser tut das nichts. Wir glauben den Teil der Geschichte nicht. Aber es kommt noch dicker. Ist die Handlungsdichte bis dahin hoch, nimmt sie nun in diesem Teil radikal ab.
Plötzlich kann Schuhe anziehen, Hände waschen, sich hinsetzen, schon mal eine komplette Seite in Anspruch nehmen. Alles wird jetzt ausgewalzt und man ahnt leider auch recht schnell, warum. Und so kommt es dann auch. Das hier ist der Teil, den die Autorin eigentlich erzählen will – aber sie macht es ohne Eleganz und Charme. Es ist einfach nur quälend. Ohne Not. Da gibt es keine Erzählökonomie, keine Zusammenfassung – hier sitzt mal plötzlich im lähmenden Reality-TV. Ungeschnitten.
Doch damit nicht genug. In dem Bemühen, der Geschichte ein dramatisches Ende zu verleihen, greift die Autorin gegen Ende zu verzweifelten Hollywood-Klischees der 90er.
Und das funktioniert gar nicht. Das glaubt niemand, das ist off Character und auch sonst überrissen und realitätsfern und, und, und.
Aber Rettung naht. Beinahe jedenfalls. Für den Leser kommt es noch dicker: Das Ende! Aber das verraten wir nicht. Klar ist nur: Das haben wir vorher gewusst. Und damit ist es dann auch alles andere als ein „atemraubender Plottwists“. Im Gegenteil. Das ist spießig und passt eher in einen Liebesroman.
Störend auch: Das Kind. Es bleibt eine Art Schaufensterpuppe, wie man sie in letzter Zeit öfter in deutschen Thrillern findet. Die Geschichte braucht es, also stellt man eine Pappfigur des Kindes hin. Mit der will aber eigentlich niemand im Buch so richtig was zu tun haben. Hm …
Fazit
Der wirklich gute Anfang ist filmreif – ab der Hälfte ist es eher Filmkonserve. Insofern: Atemberaubende Plottwists? Ist das nicht schon in sich ein aussergewöhnlich großer Anspruch? Ja, ist es. Und hier gilt: Overpromised, underdelivered. Sehr schade. Wir kommen zusammen auf 31 Punkte.
Ab der Mitte habe ich mich durchgequält. Und die Keller-Szene sprengt das ganze os weit, dass ich es nicht zuendelesen wollte