Judith Bergmann: Pechstein sieht schwarz – mal was anderes als immer nur … oder?
Der Klappentext von Judith Bergmanns “Pechstein sieht schwarz” verspricht:
“Zwei brillante Ermittler. Er blind, sie aggro. Zusammen sind sie unschlagbar.
Pechstein, ehemals »sexiest KHK alive« und kürzlich erblindet, ist zurück im Dienst – jetzt allerdings in der neu gegründeten Einheit Cold Cases im LKA. Einzige Kollegin ist Natalia Becks, frühere Vorzeige-Polizistin im Karrieretief.”
Zuckt da der eine oder andere kurz zusammen? Vielleicht.
Klingt das nicht ein bisserl kompliziert? Oder vielleicht sogar ein wenig realitätsfern?
Setting & Story
Der ehemalige “sexiest KHK alive” ist also erblindet, kehrt aber in den Dienst zurück. In eine Cold Case-Einheit, wo er vielleicht nicht alle körperlichen Fähigkeiten braucht und auch ohne Augenlicht arbeiten kann. Pechstein löst das etwa durch technische Hilfsmittel oder ruft notfalls auch mal einen Service an, der seine Augen ersetzt.
Und hier muss man sagen: Der Teil des Buches beeindruckt. Nicht, weil das so ungewöhnlich ist, sondern vielmehr, weil das Ungewöhnliche hier so selbstverständlich in die Handlung integriert ist. Das nervt nicht, das ist nicht übertrieben – das ist eine rohe Bestandsaufnahme von Problemen und Abweichungen von der Norm. Nachvollziehbar, liebevoll und natürlich charaktergestaltend. Aber eben nicht mit der Brechstange.
Das Thema ist gut recherchiert, sauber aufgearbeitet und eben ein voll integrierter Teil der Handlung. Große Klasse.
Dagegen muss Becks ja quasi abstinken, oder?
Hm … nein – nicht unbedingt. Was nervt, ist: Am Anfang können die beiden sich natürlich nicht leiden. Da denkt man rasch: “Kann den Teil nicht endlich mal jemand überspringen?” Irgendwann aber – ohne zu spoilern – versteht man, dass auch das Teil der Handlung ist. Wie so viele andere Dinge, die einem in diesem Buch begegnen. Oder in anderen Worten: Diese Geschichte ist richtig gut komponiert und durchdacht.
Sprache und Spannung
Die Sprache in “Pechstein sieht schwarz” schwankt. Ist mal flapsig, mal görenhaft, wenn es der Handlung dient und schaukelt sich ins Literarische, wo es sein muss oder sein soll.
Das gefällt uns gut.
Aber die Autorin hat bei diesem Buch an anderer Stelle Stolperfallen eingebaut.
Warum etwa muss jedes einzelne Kapitel entweder mit “Pechstein …” oder mit “Becks …” beginnen? Stur, hart, wie im Sozialismus. Dient das, um klarzumachen, dass die beiden über Phasen nicht zusammenarbeiten? Oder ist hier einfach der Autorin die Kraft ausgegangen? Dem Lesen jedenfalls geht es so. Das ist keine Markierung, das ist regelrecht schwerfällig.
Schwerer zu erklären ist ein anderer Effekt. Die Gleichförmigkeit. Die meisten Geschichten, die man liest, oszillieren inhaltlich um einen gewissen Mittelwert. Die sind mal spannender, mal ruhiger, mal langsamer, mal schneller.
Nicht so “Pechstein sieht schwarz”. Das Buch ist fast linear. Selbst, wenn jemand ausrastet, kann einem das sprachlich glatt entgehen. Man hat das Gefühl, einer äußerst linearen Geschichte zu folgen. Immer. Das ist nicht gleichzusetzen mit “langweilig” oder “lahm”. Aber das ist eben auch nicht bunt oder ein Feuerwerk, sondern eher grau.
Schwierig auch: Hin und wieder bahnen sich störrische Fachbegriffe ihren Weg in die Dialoge, die wichtig sein mögen, aber wie hineingestopft wirken. Wie Fremdkörper. Das ist leicht vermeidbar.
Die Geschichte ist dennoch spannend und enorm gut erzählt. Und das bis zum Schluss. Das überrascht, das nimmt den Leser mit, das unterhält. Judith Bergmann liefert nachvollziehbare, starke und vor allem glaubhafte Figuren – auch im Grenzbereich.
Fazit
“Pechstein sieht schwarz” ist eine echte Ausnahmeerscheinung und liest sich nicht wie der neue X und der neue Y. Hier ist mehr drin. Die verwirrende Geradlinigkeit sorgt für Abzug, aber in Summe ist uns das volle 88 Punkte Wert. Wir freuen uns auf den zweiten Teil.