Helena Kubicek Boye: Zimmer 55 – dreihundertsiebter Aufguss …?

Vom lebendigen Stockholm in die Wälder von Dalarna. Anna Varga weiß, worauf sie sich einlässt, als sie die Stelle in der Klinik für forensische Psychiatrie antritt, in der vorwiegend psychisch kranke Schwerstverbrecher untergebracht sind.

Weiß der Leser da auch schon, was ihn erwartet?

Ja, ein wenig schon …

Setting & Story

“Tief im dunklen Wald von Dalarna liegt Schwedens berühmteste Klinik für forensische Psychiatrie. Hier werden Schwerverbrecher untergebracht, die zu krank sind, um ihre Strafe im Gefängnis zu verbüßen“, informiert der Werbetext des ersten Buches von Helena Kubicek Boye. Und ja: Das klingt ein wenig, als würde Rübezahl hier auf Rotkäppchen treffen. Warum klingt das so? Weil es so ist. Es werden reichlich Klischees bemüht auf den folgenden fast 400 Seiten.

Was Leserinnen und Leser hier erwartet, haben wir schon zigfach in der einen oder anderen Form erlebt.

Das muss ja nicht schlimm sein – wie viele gute Geschichten kann es auf der Welt geben, die es sich zu erzählen lohnt? Aber das hier ist wirklich ein wenig zu billig. Mysteriöse Hinweise an Spiegeln und in Briefen. Irgendwann beginnt Anna, Ermittlungen anzustellen – mit der Hilfe der Polizei und der Presse. Sie will wissen, wer “Die Anderen” sind und gelangt in einen Strudel, der sich zunehmend wie eine große Weltverschwörung liest.

Mit zunehmender Seitenzahl fühlen sie die Leser dabei in einen Strudel gezogen, der sie in eine RTL-Vorabendserie entführt. Die Handlung ist eher konfus. Die Figuren sind weder glaubwürdig noch tragen sie die Handlung. Aber weit schwieriger ist: Es gibt hier keinen Anker, keine Identifikationsfigur, die einem durch die Handlung hilft. Die Zusammenarbeit mit Presse und Polizei kann nach Belieben an- und abgeschaltet werden und die überzeichnete Naivität, die an einigen der Figuren auf eine langweilige Weise klebt, macht das nur noch schlimmer.

Die handelnden Personen bleiben bis zum Schluss Wachsfiguren, mit denen man sich nur schwer identifizieren kann. Viele Komponenten der Handlung sind höchst unglaubwürdig. Und natürlich: Es gibt hier gebildete junge Frauen, die wie in den 60er Jahren den Weißkitteln verfallen. Och nö …

Sprache und Spannung

Zugegeben. Da ist ein Licht am Ende des Tunnels. Etwas, das einen hält. Man will wissen, was es nun mit der ganzen Sache auf sich hat. Und hier spoilern wir nicht.

Aber mindestens 2 von uns hätten das Buch dennoch nicht zu Ende gelesen, weil zur Spannung auch Figuren gehören, mit denen man mitfiebern will. Hier gibt es von denen für unseren Geschmack nicht eine Einzige. Das liegt beispielsweise auch daran, dass die Personen, die hier auftreten, keine Ecken und Kanten haben. Da hat niemand einen speziellen Sprachduktus, etwas, das ihn unterscheidbar macht oder eine persönliche Geschichte, die ihn zu einem Charakter macht.

Und das tötet am Ende die Spannung – der Weg zu “Den Anderen” ist weit – und da braucht es mindestens eine interessante Figur, die einem auf diesem Pfad die Hand hält.

Fazit

Uns ist das nach eingehender Beratung 22 Punkte wert. Wir haben in diesem Jahr viele bessere Bücher aus Skandinavien gelesen.