Schreiben in der Krise: Das Corona-Interview mit Liva Dalin

Mit ihren ersten beiden Krimis rund um Stella Nykvist hat Liva Dalin ins Schwarze getroffen. Vor allem junge Frauen haben die Bücher in den vergangenen Monaten verschlungen. Wir trafen Liva Dalin zu unserem Interview nur virtuell, wie zurzeit oft üblich. Sie spricht über ihr neues Buch Totenschmerz und Schreiben in der Krise.

Krimi Blogger: Liva – Du hast Deinen neuen Krimi “Totenschmerz”, nicht nur in der Krise geschrieben, er spielt auch mitten in Zeiten von Corona. Inwieweit hat das dein Schreiben beeinflusst?

Liva Dalin: Ja… Das war alles schräg. Das Buch spielt in Dänemark. Ich hatte eigentlich vor, große Teile des Buches in Dänemark zu schreiben – aber kaum ein Land war so grob bei den Grenzschließungen. Ich habe am Ende zwar eine Möglichkeit gefunden, rein zu kommen – aber das war ein ziemlicher Akt.

Krimi Blogger: Warum war Dir das so wichtig?

Liva Dalin: Du brauchst diese Luft, Du musst wissen, wie sich das anfühlt, finde ich. Obwohl das Buch an einem fiktiven Ort spielt, muss man wissen, wie die Luft das schmeckt und die Meeresbrise duftet – finde ich zumindest. Und natürlich musst du auch gesehen haben, wie die Bevölkerung im echten leben mit Corona umgeht. Und das war schon ganz und gar erstaunlich für mich. Bescheuerte Protestler wie in Deutschland etwa findest Du in Dänemark nicht. Skandinavien ist einfach in Summe immer sehr diszipliniert. Disziplinierter als ich jedenfalls.

Krimi Blogger: Und Corona spielt in deinem neuen Krimi auch eine Rolle…

Liva Dalin: …schon – aber mit Sicherheit keine Hauptrolle. Am Ende hilft es zwar, um den Fall sauber zu lösen, aber es ist eher ein Teil des Settings. Totenschmerz ist mit Sicherheit kein Corona Krimi – aber wenn es beispielsweise 1943 spielen würde, dann wäre ja auch Krieg und man würde das in der Geschichte auch dann wahrnehmen, wenn es für die Geschichte keine Bedeutung hätte. Corona ist so allgegenwärtig in unser aller Leben, wie nichts, was ich bislang erlebt habe. Insofern ist es auch Teil des Buches, klar. Ein Teilnehmer des Teams etwa kann nicht einreisen. Und ein anderer kommt nachher nicht aus Dänemark heraus wegen der Einschränkungen, die zum Zeitpunkt der Geschichte bestanden.

Krimi Blogger: Okay – Du sagst es. Also erst einmal genug Corona! Erzähl uns was über Totenschmerz.

Liva Dalin: Totenschmerz behandelt ein ganz hässliches Thema. Es geht – unter anderem – um Nekrophilie. Ein Thema, das selbst in Polizeikreisen in erschreckendem Umfang totgeschwiegen wird. Und so ist das auch in Totenschmerz. Ich habe mich im Vorfeld bei der Recherche mit diversen Polizisten unterhalten – aber das ist wirklich ein Thema, über das niemand reden will. Das hat etwas Schmutziges und findet wirklich ganz weit außen am Rande der Wahrnehmung statt. Das will wirklich niemand.

Ich muss nicht beschreiben, wie hoch das Blut spritzt, um einen Mord im Kopf des Lesers stattfinden zu lassen

Krimi Blogger: Deshalb kommt es auch nicht so richtig explizit bei dir vor?

Liva Dalin: Naja… es kommt schon vor – aber es ist nicht in elegischen Beschreibungen vorhanden. Und das ist auch gut so. Ich muss nicht beschreiben, wie hoch das Blut spritzt, um einen Mord im Kopf des Lesers stattfinden zu lassen. Aber es ist natürlich trotzdem Thema.

Krimi Blogger: Stella Nykvist ist erneut die Ermittlerin im Mittelpunkt der Geschichte. Bei der ersten Kritik, die ich zu dem Buch gelesen habe und auch bei vielen zu Tulpenblut, deinem letzten Krimi, wird sie immer als sympathische Hauptdarstellerin beschrieben. Ich habe manchmal den Eindruck, dass du die gar nicht soooo sympathisch beschreibst.

Liva Dalin: Ja – und genau das macht sie so sympathisch. Stella ist keine nette lustige Kollegin, sondern eine, die dir auch gehörig auf die Nerven gehen kann. Sie ist unberechenbar, launisch, priorisiert Sex oft so hoch, dass der Fall zu kurz kommt. Mit der musst Du umgehen wollen. Aber sie ist natürlich dennoch eine herzliche Person, die einfach Fehler hat. In Tulpenblut etwa baut sie einmal Mist. Das gibt sie nicht zu – aber später am Tag besorgt sie Kuchen fürs Team, den sie sehr mütterlich verteilt. Macht sie das zu einem netten Menschen? Nein – aber vielleicht dennoch zu einer liebenswerten Figur.

Zurzeit lebt Liva in einem Sommerhaus, in dem sie an einem neuen krimi schreibt. Natürlich in Skandinavien

Krimi Blogger: Ich muss Dich das jetzt fragen: Wie ähnlich seid ihr Euch?

Liva Dalin: Gar nicht. Ich hatte beim Schreiben eine sehr konkrete Vorstellung von einer Person und wusste, wie die sich benimmt – aber das bin nicht ich, sondern eine Frau, die ich einmal sehr gut kannte. Der Vergleich zwischen mir und Stella Nykvist … der funktioniert nur sehr begrenzt.

Krimi Blogger: Aber sie ist in etwa so heimatlos wie du und arbeitet in ganz Skandinavien…

Liva Dalin: Ja! Das hat sie natürlich von mir geerbt. Ich habe in allen skandinavischen Ländern gelebt und auch in Ländern wie Deutschland oder den Niederlanden in meiner Kindheit und Jugend. Das macht Dich etwas heimatlos.

Krimi Blogger: Wo hast Du am liebsten gelebt?

Liva Dalin: Hm… Ich liebe die Niederlande. Und Deutschland hat viele Qualitäten – aber ich glaube, wenn irgendwo meine Heimat liegt, dann am ehesten in Schweden. Da wird auch das nächste Buch spielen.

Krimi Blogger: Oh… Und das entsteht schon?

Liva Dalin: Nein… So ein Maniac bin ich dann doch auch nicht. Ich arbeite gerade an einer Kurzgeschichte für eine Anthologie, in der sich eine Menge Skandinavier einfinden werden, die hier in Deutschland noch nicht so bekannt sind – Magnus Lassgard, Anita Enquist, Kristina Palme – Das wird spaßig. Und da schreiben wir auch nicht alle im stillen Kämmerlein. Wir haben einmal die Woche einen UpDate Call und tauschen uns da sehr intensiv aus über die Themen, die uns bewegen, recherchieren zum Teil gemeinsam. Das ist wirklich Schreiben auf dem nächsten Level!

Krimi Blogger: Kling interessant – wann bekommen wir davon was zu lesen?

Liva Dalin: Mal schauen… Planmäßig noch vor Weihnachten. Und da steckt so viel drin… Vielleicht wird da ja etwas Festes draus. Anita Enquist und ich sprechen auch gerade darüber, ein gemeinsames Projekt zu schreiben. Ich habe mit Magnus Haensler ja auch in meinem neuen Buch eine Art Shared Content geschaffen: Meine Figuren agieren in einer Geographie, die er geschaffen hat. Die hat er mir aufgemalt, die hat er mir beschrieben, da haben wir uns lange drüber ausgetauscht. Da hat er mir wirklich einen Brain Dump gegeben, wie man ihn nur selten erhält.

Krimi Blogger: Klingt ausgezeichnet – und wie geht es weiter mit deinen eigenen Projekten?

Liva Dalin: Im Moment ganz ganz schwer zu sagen. Ich habe gerade viel Spaß daran, mit anderen gemeinsam etwas zu machen und Stella Nykvist ist zurzeit für einen Moment im Urlaub. Die kommt wieder, ganz sicher, aber erst, wenn sie sich ein wenig erholt hat. So lange werde ich etwas mit dem Autoren-Kollektiv verfassen und darauf freue ich mich!