Tana French „Grabesgrün“: ausgeklügelter Krimi mit einer der grausamsten Liebesgeschichten

Knocknaree, gelegen in der Nähe von Waterford in Irland, ist der Platz der Wahl für Tana Frenchs ersten Kriminalroman. Tana French kann eines nicht: kurze Bücher schreiben. Alle ihre bislang 5 Bücher haben rund 700 Seiten und verstoßen damit ein wenig gegen das Standard-Format von 400 Seiten, das die meisten Schweden und Briten verwenden – aber soviel vorab: jede Seite lohnt sich. Tana French hat mit Cassie Maddox hier eine der frischesten, unverbrauchtesten und interessantesten Charaktere, die die Krimi-Literatur gegenwärtig zu bieten hat. Und hinzu kommt: Cassie Maddox, die spätere Ich-Erzählerin, wird nicht eingeführt, wie man es erwarten könnte. Vielmehr wird sie durch ihren Partner eingeführt, der der Erzähler in Grabesgrün ist und Cassie Maddox als seine Partnerin kennt und sie dem Leser auf diese Weise beschreibt.grabesgruen_tana_french!

Das ist schon ein großer Ansatz – einer mit Distanz, der aber unglaublich viel Nähe zu der Ermittlerin erzeugt, der sich Cassie aus der Ferne nähert und ihr schmerzhaft nahe kommt – ganz ob, als würdest Du sie als Leser eben auch so kennenlernen. Und das ist toll, das ist gefühlvoll, das ist nachhaltig – erfüllt aber in Grabesgrün auch gleichzeitig 2 Funktionen.  Denn auf diese Weise ermöglicht Tana French es sich als Erzähler und gleichzeitig uns als Leser, die Perspektive ihres Partners kennenzulernen – und der ist auf eine ganz spezielle Weise in den Fall verstrickt, die man anders wohl nur schwer hätte darstellen können – und wenn, dann wohl nicht so emotional und glaubhaft.

Grabesgrün: Das Setting

Grabesgrün von Tana French verwebt zweieinhalb Kriminalfälle miteinander. Die beiden wesentlichen: In der Gegenwart wird ein junges Mädchen ermordet – an derselben Stelle, an der der erzählende Ermittler Adam Ryan 20 Jahre zuvor seine beiden besten Freunde unter ungeklärten Gründen verloren hat. Da sagt jetzt manch einer „Oh nein… So eine Vergangenheitsgeschichte…“ Und ja: In den Händen einer schwächeren Autorin hätte das enorm schiefgehen können – Tana French hingegen gelingt es auf eine unfassbar präzise und doch leichtfüßige Weise, die beiden Geschichten so ineinander zu verzahnen, dass sie nicht mehr zu trennen sind.

Das heißt nicht, dass sie es sich auferlegen würde, beide Fälle zu lösen. Stattdessen bringt sie einen weiteren Fall mit ein, der an den Grenzen des ersten in der Vergangenheit stattgefunden hat.

Und all das schwankt nicht zwischen Erzählung a und Erzählung b, bei der womöglich eine Geschichte kursiv gedruckt ist oder so – die vergangene Begebenheit wird einfach Teil des Falles, wird auch Teil der Beziehungen der Figuren untereinander, die Tana French in einer Art und Weise rüberbringt, dass man sie beinahe körperlich zu fühlen scheint und es Tana French schließlich gelingt, dass man sich so fühlt, als säße man neben Cassie und Ryan und Sam, dem Ermittler Nummer 3.

Grabesgrün führt uns nicht in die grünen Auen, wo glückliche Kühe die Milch für irische Butter geben - aber es erfüllt auch sonst keine Irland-Klischees oder andere Stereotype
Grabesgrün führt uns nicht in die grünen Auen, wo glückliche Kühe die Milch für irische Butter geben – aber es erfüllt auch sonst keine Irland-Klischees oder andere Stereotype

In all dieser dichten Atmosphäre, die über knapp 700 Seiten keine erkennbaren Längen kennt, entspinnt sich ein kleiner Kriminalfall bis hin zu politischen Verwicklungen und Bezügen von Gegenwart und Vergangenheit und diversen Spannungshöhepunkten sowie einer Liebesgeschichte, die zu Tränen rührt, so schön ist sie.

Grabesgrün: Sprache & Spannung

Tana French hat die volle Kontrolle. Das gesamte Buch Grabesgrün vermittelt rückblickend den Eindruck, dass Tana French die Geschichte mindestens 5 Jahre im Hirn mit sich herumgetragen haben muss, bis die Figuren so echt, so reif, so glaubhaft und real waren, wie sie uns in Grabesgrün begegnen. Diesem Buch ist eine mentale Schwangerschaft vorausgegangen, die nicht mit einer Frühgeburt endete. Und so sitzt auch die Sprache zielsicher. Die Dialoge wirken echt, brutal real und daneben schafft es Tana French noch, Irland so real neben dir entstehen zu lassen, wie es ist. Nicht das grüne lustige Irland der Reisekataloge und Butterwerbungen – und auch nicht das IRA Irland der frühen U2.

Hier fliessen Figur und "heimliche" Hauptdarstellerin ineinander
Hier fliessen Figur und „heimliche“ Hauptdarstellerin ineinander

Daneben serviert Tana French uns einen spannenden, vielschichtigen Thriller und erliegt nicht etwa der Versuchung, uns einen abgedroschenen Serienkiller zu servieren, der in einer irrwitzig aus der Vergangenheit hergeleiteten Verbindung mit dem Hauptdarsteller steht, die niemand ahnen konnte und vor allem am Ende kein Leser so recht hätte glauben wollen.

Grabesgrün: Fazit

100 Punkte
Tana French hat einfach eine große Geschichte geschrieben und darin in einem spannenden Setting glaubhafte Figuren etabliert, eingepackt in eine süchtig machende Sprache und Erzählung, die Dir schon auf Seite 100 klar macht, dass Du am besten gleich die 4 anderen Bücher bestellst. Jenseits aller Krimi-Literatur ist hier einfach ein großer Roman entstanden, einer breitflächige Erzählung, die im klassischen Sinne Literatur ist.