Tana French „Geheimer Ort”: psychologische Untiefen der Pubertät in einem Aquarium
Tana French, Geheimer Ort: Das Setting
Tana French führt uns nicht an einen geheimen Ort, wie der Titel vermuten lässt, sondern eher an einen geschlossenen: Ein Mädchen-Internat. Auf dem Gelände des Internats hat vor einem guten Jahr ein Mord stattgefunden – an einem Jungen aus dem benachbarten Internat, der über den Zaun geklettert war, was – wie wir im Laufe der Story erfahren – absolut üblich war. Der „Geheime Ort“ ist eine Art Pinnwand, an der die jungen Mädchen ihre Sorgen öffentlich loswerden können – und eines der Mädchen pinnt dort eine Postkarte an, mit der sie behauptet zu wissen, wer den Mord begangen hat…
Was von weitem nach „I know what you did last Summer“ und „Pretty little Liars“ klingt, ist aus der Nähe eher ein sehr sauber inszeniertes Theaterstück mit einer Choreographie, wie sie Tana French ausgezeichnet beherrscht – zumindest über weite Strecken hinweg. Das ganze ist kammerspielhaft, eng, findet in nur wenigen Räumen statt – aufgebrochen durch die Handlungsstränge, die zum Mord geführt haben; komponiert in einer Weise, die wirklich etwas kann. Tana French weiß, wie man eine Handlung komponiert, das hat schon unzweifelhaft wieder etwas großartiges – ebenso die Art und Weise, wie sie auch hier wieder Personen aus vorhergehenden Büchern, in dem Falle ihrem dritten Roman, einfliessen lässt.
Die Handlung ist auf mehreren Ebenen interessant: Auf der Ebene der beiden ermittelnden Polizisten, auf der Ebene der Schule, auf der der 8 Mädchen, die im Zentrum der Handlung stehen – über 500 Seiten geht das gut – jedoch: Tana Frenchs „Geheimer Ort“ hat knapp 700 Seiten
Sprache und Spannung in “Geheimer Ort”
Wie auch schon beim Vorgänger „Schattenstill“ muss man Tana French leider vorwerfen, die letzten 200 Seiten schlicht zu langatmig konzipiert zu haben. Ebenso, wie in ihrem vierten Buch sind die letzten 200 Seiten eine Art endloses Verhör. Psychologisch durchaus spannend – aber schlicht und ergreifend ganz entschieden zu lang und dann am Ende sogar irgendwie eintönig. Auch die Überraschung am Ende funktioniert dadurch nur in Grenzen, weil man spätestens ab Seite 500 ahnt, dass hier nichts gutes herauskommen kann. Der Rest der Handlung ist erneut, wie auch schon in Tana Frenchs Vorgänger-Romanen, wirklich gelungen, ist spannend, kleinteilig, baut auf sehr glaubhaften und auch interessanten Charakteren auf. Selbst die 8 pubertären Mächen werden hier alle mit einem sehr eigenen Charakter gezeichnet, treten nicht als amorphe Masse junger Menschen auf oder wirken Klischeehaft wie so oft in Krimis, wo junge Menschen als Stichwortgeber, Statisten und Pubertätsklischees herhalten müssen.
Hier beweist Tana French auch in „Geheimer Ort“ wieder einmal ihr Können. 150 Seiten weniger und „Geheimer Ort“ wäre ein richtig richtig guter Krimi. Von den zurzeit gängigen erfolgreichen Krimi-Autoren/Autorinnen gehört French sicherlich (im Original wie auch in der Übersetzung) zu den literarisch fähigsten Autoren, hinter denen ein ungemein erfolgreicher Sebastian Fitzek eher wie ein Lehrbub wirkt. Allem voran ist sie dabei die stets die Zeichnerin glaubhafter Figuren, eingebettet in Gerüste aus satter, umfassender Sprache, die nie sinnlos opulent wird oder verschwenderisch.
Tana French “Geheimer Ort”:Fazit
73 Punkte
Tana French entwickelt auch in ihrem fünften Buch wieder ein genuines Setting mit unglaublich viel potential, spannenden Geschichten, Seitensträngen und psychologischen Motiven. Leider bricht die Story zum Schluss so sehr in ihren psychologischen Motiven zusammen, dass dieses Theaterstück niemand aufführen würde – 150 der letzten 200 Seiten fügen der Handlung nichts mehr Neues hinzu. Leider passiert hier noch einmal dasselbe wie schon im Vorgänger und gegen Ende quält man sich irgendwie nur noch durch, um zu wissen, ob man Recht behält mit seiner Theorie und weil die Hauptfiguren erneut so sympathisch, nahbar und nachvollziehbar gelungen sind wie auch schon in den Büchern davor. Selbst die vermeintlich harte und wenig sympathische Ermittlerin ist erneut mit so viel Liebe gezeichnet, dass man das Buch nicht weglegen mag.
Manchmal könnte man glatt meinen, dass das Konzept, das Tana French verfolgt, in dem nur einzelne Elemente der Handlungen ihre Bücher verbinden, jedoch beispielsweise keinen durchgängigen Ermittler haben, ihr das Leben schwer machen – ganz so, als würde sie lieber noch einmal 200 Seiten schreiben, damit ihr selbst die lieb gewonnenen Figuren noch ein wenig erhalten bleiben, bevor sie sie beiseite schiebt und die nächsten erschafft.