Magnus Haensler: Totenwelle – Aaron Niederkircher kehrt zurück

Ganze 7 Jahre hat Magnus Haensler uns warten lassen, bis Aaron Niederkircher wieder auferstanden ist von den sozusagen digitalen Toten. Ab Sommer 2010 war Aaron Niederkircher auf einem Blog der Ermittler der ESFIE, wie sie zunächst noch gar nicht hieß, der European Squad for Investigation Efficiency, einer Einheit, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Ermittlungen in Mord-Fällen zu beschleunigen. Und da hatte Niederkircher bei seinen Ermittlerkollegen nicht nur Freunde, weil er in Teilen etwas oberlehrerhaft herüberkam und viele ihn als akademischen Störenfried empfanden.

Aber die Leser liebten ihn. 2011 verschwanden dann zunächst die wöchentlichen Posts, 2012 verschwand der gesamte Herr Niederkircher in der digitalen Versenkung. Aber hey: Auch Sherlock Holmes starb in seiner ersten Kurzgeschichte, oder?

Wie schlägt sich der neuen Niederkircher, von dem der Autor behauptet, er habe viel dazugelernt und sich verändert, im neuen Insel-Krimi TOTENWELLE?

Das Setting

In TOTENWELLE spielt die gesamte Story zwar auf der fiktiven Insel Oosterplaatland – die Insel dient hier jedoch nicht als Kulissen-Vorwand, sondern ist vielmehr integraler Bestandteil der Handlung – ganz so, wie Alfred Hitchcock uns gelehrt hat. Und das ist auch gut so – denn tatsächlich eignet sich die abgeschlossene Kulisse ideal, um eine Krimi-Geschichte zu erzählen, die von ihren Verwicklungen lebt, von Wendungen, die nur in einem abgeschlossenen Kleinst-Universum möglich sind. Und dann, soviel sei verraten, beraubt und der Autos auch noch der Verbindungen zur Außenwelt – und da fängt die Ermittlung dann erst an, richtig Spaß zu machen.

Im Mittelpunkt steht ein mehrfacher Mord, der zunächst so gar keinen Sinn zu ergeben scheint. Doch wo anderen Ermittler das Standardgepäck von Motiv und Gelegenheit auspacken, prallen hier zwei Welten aufeinander: Die Polizisten der Insel, die so etwas noch nie erlebt haben und improvisieren müssen – und Aaron Niederkircher, der mit seiner europäischen Sondereinheit normalerweise gut ausgebildeten Ermittlern zeigt, wie man Ermittlungen effizienter gestalten und beschleunigen kann.

Daraus ergibt sich das Spannungsfeld, das die Handlung auf angenehme Weise vorantreibt – in einer Umgebung ohne Gerichtsmediziner, Seziertische oder auch nur der Möglichkeit, die Leichen angemessen zu kühlen. Herausforderungen der anderen Art – und diese sind in Magnus Haenslers Roman sehr geschickt in mehrere Handlungsebenen eingebunden, die parallel stattfinden und sich immer wieder auch gegenseitig bedingen und vorantreiben. Und alle Handlungen kehren immer wieder an die eine Stelle zurück, die aus den verschiedenen Blickwinkeln Stück für Stück seziert wird, mal millimeterweise, mal sprunghaft – aber immer hektisch und getrieben, wie man das bereits vor Jahren von Magnus Haensler kannte.

Der beste Move in der Weiterentwicklung vom getriebenen Perfektionisten Aaron Niederkircher ist ohne Zweifel seine Kollegin Inga Gerdinger, die zwar in Teilen im Hintergrund bleibt, aber in ihrer Art einen erheblichen Einfluss ausübt und sehr schnell mehr als ein Sidekick ist. Das macht es dann auch glaubhafter, dass der ehemals nahezu verkrampfte Hauptdarsteller neuerdings ein paar herzliche und sehr menschliche Züge entwickelt. Umso mehr, weil ein paar von denen im Dunkeln bleiben, nicht erläutert werden und nur so an die Oberfläche dringen, dass man als Leser manchmal erst 3 Sätze später denkt “Warte mal… da war doch was…?”

Sprache und Spannung

Magnus Haensler – Auf dem Vorbild von Oosterplaatland

Es bleibt hektisch – yeah. Magnus Haensler, der in den vergangenen Jahren keine Krimis veröffentlicht hat, sondern eher humoristische Youngtimer-Bücher, hat den Drive nicht verlernt.

Er peitscht uns durch eine Geschichte, bleibt stets in Bewegung, agiert in kurzen, raschen Kapiteln, in denen kurze Sätze den Leser vorangetrieben und das Innenleben der Figuren nur dort zugelassen wird, wo es den Leser nicht langweilt. Da werden die Möglichkeiten der Satzzeichen bis aufs Letzte ausgereizt, da werden auch einmal drei hektische Sätze mit Gedankenstrichen und Doppelpunkten verbunden, dass es einem schier den Atem nimmt. So bleibt man hier ständig in Fahrt. Das ist keine metapherschwülstige Erzählung, das ist ein Krimi mit Takt und Spannung, die sich vor allem über die Perspektivenwechsel und die verwobene Handlung aufbaut, die von sympathischen und nachvollziehbaren Figuren getragen werden, die oft nur mit 4 oder 5 Federstrichen gezeichnet sind und im Kopf der Leser zu vollem Leben reifen.

Die kurze Abfolge erleichtert er, in der Handlung zu bleiben, immer noch einen kleinen Happen, noch eine Überraschung zu verdauen und noch einen zusätzlichen Charakter zu schaffen. Das ist quick, das ist dirty – und das reißt mit.

Fazit

Uns ist das Buch ein 91 Punkte wert, weil die Geschichte vorantreibt, spannend und kurzweilig ist und Lust auf mehr macht und dabei noch geschickt mit den Stilmitteln des Genres spielt, hier und da ein wenig bricht und auch mal mit dem Auge zwinkert, was Charme hat.

Erhältlich als eBook: Amazon Kindle

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